Zwischen Neoklassik und Historismus: Das ökonomische Werk Joseph A. Schumpeters aus methodologischer und theoriegeschichtlicher Perspektive
- Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, über eine wissenschaftstheoretische Analyse seines ökonomischen und methodologischen Gesamtwerks ein neues Licht auf die Schriften des österreichischen Ökonomen Joseph A. Schumpeter zu werfen. Dazu erfolgt die Analyse aus zwei Blickwinkeln: Gegenstand der Analyse ist erstens Schumpeter als Wissenschaftstheoretiker. Hier gilt es, die methodologischen Positionen herauszuarbeiten, die er in seinen Schriften vertritt und anschließend zu zeigen, in welcher Weise er diese Positionen mit der Zeit ändert. Gegenstand der Analyse ist zweitens die Betrachtung Schumpeters als Ökonom aus wissenschaftstheoretischer Perspektive, wobei seine Aussagen zum Gegenstand der ökonomischen Dynamik im Zentrum stehen. Die Hauptthese der Arbeit ist, daß es Schumpeter trotz intensiver Bemühungen zeitlebens nicht gelungen ist, sein ökonomisches Hauptproblem - die Gewinnung eines adäquaten Verständnisses von den Vorgängen der ökonomischen Dynamik - in einer Weise zu bearbeiten, die ihn auch in methodologischer Hinsicht zufriedenstellt. Vor diesem Hintergrund stellt sich sein Werk selbst als Suche dar; dabei bewegt er sich insbesondere im Spannungsfeld zwischen der positivistischen und der historischen Tradition, wobei er sich zunehmend letzterer annähert, ohne allerdings seine positivistische Grundhaltung aufzugeben. Die Untersuchung führt erstens zu dem Ergebnis, daß Schumpeter nicht nur eine sehr frühe Anwendung des Neopositivismus in der Ökonomie zuzuschreiben ist, sondern daß er darüber hinaus in seinem Werk wesentliche Entwicklungen der Wissenschaftstheorie vorweggenommen hat. Dazu gehört zum einen, daß er bereits vor Poppers Logik der Forschung"" das Fundament von ökonomischer Theoriebildung in einem falsifikationistischen Prinzip gesehen hat. Zum anderen hat er erkannt, daß sich der Vorgang der Falsifikation von Theorien in der Geschichte als ein diskontinuierlicher Prozeß gezeigt hat, der in revolutionären Schüben vor sich geht. Vor allem in Verbindung mit seinen wissenschaftssoziologischen Aussagen nimmt Schumpeter damit auch wesentliche Grundgedanken der Kuhnschen Paradigmeorstellung vorweg. Zweitens kann gezeigt werden, daß sich Schumpeters Vorstellung von wirtschaftlicher Entwicklung geradezu zwangsläufig aus seinem rigiden Bild von ökonomischer Statik ergibt, als die er die zeitgenössische neoklassische Theorie versteht. Diese Erkenntnis widerspricht der in der Literatur verbreiteten Einschätzung, Schumpeters Vorstellung von wirtschaftlicher Entwicklung würde ursprünglich seiner Auseinandersetzung mit Marx entspringen. Drittens komme ich zu dem Ergebnis, daß Schumpeters Werk in methodologischer Hinsicht nicht einheitlich ist, sondern einen Bruch aufweist. Diesem Bruch, den ich in die zwanziger Jahre datiere, liegt seine Wahrnehmung zugrunde, daß ökonomische Phänomene nur vor dem Hintergrund ihrer historischen und gesellschaftlichen Dimension verstanden werden können - eine Wahrnehmung, die offensichtlich im Zusammenhang mit seiner Erfahrung der politischen und gesellschaftlichen Umbrüche in Folge des ersten Weltkriegs steht. Das führt dazu, daß er seine vormals positivistische Grundhaltung in einem wesentlich umfangreicheren ""sozialöko-nomischen"" Ansatz aufhebt, in dem neben der theoretischen die geschichtliche, die soziolo-gische und die statistische Analyse zu einem einheitlichen Gebäude integriert werden sollen. Viertens zeigt sich, daß der späte, ""sozialökonomische"" Schumpeter den zeitgenössischen Vertretern der deutschen Historischen Schule wesentlich näher steht, als dieses in der Regel von der Literatur eingeschätzt wird. Das bezieht sich nicht nur auf das Begreifen von Ökonomik als einer historischen Wissenschaft, sondern vor allem auch auf sein Verständnis der ökonomischen Dynamik vor ihrem gesellschaftlichen Hintergrund. Die Untersuchung endet mit einer Einschätzung des Beitrags, der dem Schumpeterschen Werk vor diesem Hintergrund für die aktuelle Analyse von wirtschaftlicher Dynamik zu entnehmen ist. Dabei stellt sich vor allem Schumpeters Vorstellung von wirtschaftlicher Entwicklung als Ungleichgewichtsprozeß als eine vielversprechende Alternative zur gleichgewichtigen neoklassischen Wachstumvorstellung dar. Ebenfalls erscheint sein weiter, ""sozialökonomischer"" Untersuchungsrahmen, der wirtschaftliche Entwicklung vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels als einen geschichtlichen Vorgang begreift, auch für die heutige Wachstumstheorie noch als richtungsweisend. Für konjunkturtheoretische Überlegungen dagegen scheint Schumpeters Entwicklungsvorstellung eine weniger geeignete Grundlage abzugeben. JEL-Klassifikation: B3, B4. Inhalt 1 Einleitung 2 Das Forschungsprogramm der theoretischen Nationalökonomie # 2.1 Die theoretische Nationalökonomie und die deutsche Wirtschaftswissenschaft # 2.2 Die wissenschaftstheoretische Fundierung der theoretischen Nationalökonomie 3 Die Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung # 3.1 Anknüpfung an die theoretische Nationalökonomie und Kritik der bisherigen Theorie # 3.2 Transformation der statischen Theorie zur stationären Wirtschaft # 3.3 Der Mechanismus der wirtschaftlichen Entwicklung # 3.4 Die Verfügung über Produktionsfaktoren, die Rolle der Kreditschöpfung, der Kapitalbegriff und die sich daraus ergebende Bedeutung des soziologischen Rahmens der wirtschaftlichen Entwicklung # 3.5 Der Konjunkturzyklus als Gesamtprozeß der wirtschaftlichen Entwicklung # 3.6 Was heißt "idealtypisch"? 4 Das Forschungsprogramm der Sozialökonomik # 4.1 Die weitere Entwicklung bis zu Schumpeters Berufung an die Bonner Universität # 4.2 Die Rolle der Geschichte im Rahmen der ökonomischen Analyse # 4.3 Wirtschaftsgeschichte als empirisches Wissen # 4.4 Sozialgeschichte als irreversibler Prozeß # 4.5 Gründe für Schumpeters Umbesinnung # 4.6 Der Wechsel in die USA und die Statistik 5 Die theoretische, historische und statistische Analyse des kapitalistischen Prozesses # 5.1 Stationen auf dem Weg der Überarbeitung der "Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" # 5.2 Der große Wurf: die "Business Cycles" # 5.3 Der Mißerfolg des großen Wurfs 6 Analytische Instrumente und Unternehmergeschichte: die weitere Enwicklung # 6.1 Schumpeters weitere Arbeit auf dem Gebiet der Statistik, der Soziologie und der Methodologie # 6.2 Analytische Instrumente und Unternehmergeschichte 7 Resümee
Document Type: | Book |
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Language: | German |
Author: | Peter Kesting |
Chairs and Professorships: | Chair of Microeconomics |
Year of Completion: | 1997 |
Note: | Marburg: Metropolis-Verlag, 1997 (Beiträge zur Geschichte der deutschsprachigen Ökonomie; 9) (ISBN 3-89518-161-7) |