Annette Güldenring entwickelt aus ihrer eigenen "Lebensart mit der transsexuellen Thematik über fast fünf Jahrzehnte", aus ihrer therapeutischen Arbeit mit Trans*personen und aus ihrem genderpolitischen Aktivismus heraus ein Phasenmodell für die innerpsychische Entwicklung von Trans*. Ziel ist es, Therapeut_innen für die Begleitung von Trans*personen neugierig zu machen, zu sensibilisieren und eine Art Leitlinie für die Arbeit anzubieten. Güldenring unterscheidet sechs Phasen des Entwicklungswegs, für die sie jeweils Fokus, Konfliktthema, Lösungsversuch und Auswirkungen herausarbeitet: 1) Innere Wahrnehmung des transsexuellen Erlebens, 2) Innere Auseinandersetzung mit der Möglichkeit des Öffnens nach außen, 3) Offenbarung des transsexuellen Erlebens nach außen, 4) Juristischer, medizinischer und psychologischer Prozess, 5) Körperliche Angleichung und 6) Heilungsphase, Realitätsklärung, Integration und Stabilisierung.
[Sechs aufeinanderfolgende Konfliktphasen eines transsexuellen Entwicklungsweges werden voneinander abgegrenzt und in einer Psychodynamik beschrieben. Dieses Wissen gibt eine Grundlage, um transsexuelle Lebenswege besser zu verstehen und danach eine phasenbegleitende Psychotherapie zu führen mit dem Ziel, dem Patienten zu einer souveränen und authentischen Lebensform in seinem transsexuellen Sein zu verhelfen, völlig unabhängig davon, ob körperlich-geschlechtsangleichende Therapien gewünscht werden oder nicht.]
Die Autorin gibt einen Überblick über die Entwicklung und gegenwärtige Organisation der Gesundheitsversorgung von Trans*personen in Deutschland. In einem "psychohistorischen Exkurs" legt sie die Wurzeln der medizinisch-psychiatrischen, psychopathologischen Diskussion zu "Transsexualität" in Deutschland und den Aufbau des juristisch-medizinischen Versorgungssystems für "transsexuelle" Menschen in den 1980er Jahren dar. Auch die Entwicklung der Behandlungs- und Begutachtungs-Standards zu Trans* wird nachgezeichnet - mit Bezug auf die zwei weltweit gültigen medizinischen Klassifikationssysteme für Diagnosik und Behandlung: das von der Fachgesellschaft American Psychiatric Association (APA) herausgegebene DSM (Diagnostic and Statistic Manuel of Mental Disorders) und die von der Weltgesundheitsbehörde (WHO) herausgegebene ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems). Desweiteren veranschaulicht Güldenring die Organisation der Aufgaben von Ärzt_innen und Psycholog_innen "zwischen Gesetzgebung, Behandlung und Kostenregulierung". Sie schließt mit zwei zentralen Kritiken am Trans*gesundheitsversorgungssystem: 1. müsse die derzeitig in der Medizin vorherrschende binär-kategoriale Vorstellung von Geschlecht einer bedürfnisorientierten, individuellen Behandlungen von Trans*menschen weichen; 2. müsse die zwingende Bindung eines Zugangs zur Gesundheitsversorgung an eine vorherige Diagnose abgeschafft werden.
Eine persönliche Auseinandersetzung der Autorin mit der gesellschaftlichen Verhandlung und den Lebensbedingungen von Trans* in Deutschland seit den 1970ern bis in die 2000er Jahre. Güldenring geht auf Entwicklungen medizinischer, therapeutischer und gesellschaftlicher Diskurse ein, auf die Beziehung von Behandler_innen und Trans*, auf die Trans*bewegung und Trans*selbsthilfeszene. Im Abschnitt "Trans* im Verhandlungsraum zwischen Recht und Medizin" benennt sie "krankheitsfördernde Wirkfaktoren" im Transsexuellengesetz sowie im medizinischen Versorgungssystem. Güldenring fasst Geschlecht als "fließend und dynamisch" und Selbstbestimmung als Basis für "geschlechtliche Gesundheit". Medizin und Psychologie müssten ihr zufolge "ihre Angst vor dem geschlechtlich Uneindeutigen" überwinden und die "Tradition des Verordnens und Fremdbestimmens" aufgeben. Hinweis: Der Text ist eine überarbeitete Version der Erstveröffentlichung von 2009.
Queering Trans*-Gesundheit
(2016)
Die Autor_innen werfen einen kritischen Blick auf die gesundheitliche Situation und Versorgung von geschlechtlich non-konform lebenden Menschen in Deutschland und formulieren auf Basis von queer-theoretischer Forschung und Menschenrechtsansätzen konkrete Forderungen für die Verbesserung von Trans*-Gesundheitsversorgung. Nach einem Überblick über Trans* im Kontext queerer Theorie und Politik sowie über den sich wandelnden Umgang der Medizin mit Trans* folgt eine Analyse der aktuellen Trans*-Gesundheitsversorgung: Das "Diskriminierungssystem von Trans* im Gesundheitsbereich" veranschaulichen die Autor_innen bspw. anhand standardisierter Verhaltensauflagen wie verpflichtender Alltagstests, aber auch anhand der "institutionalisierten Trans*Phobie" im deutschen Gesundheitswesen. Die Forderungen für einen "menschenrechtsbasierten Perspektivenwechsel" umfassen u.a. eine individualisierte, partizipative Behandlung von Trans*, selbstbestimmten Zugang zu allen medizinisch notwendigen und gewünschten Maßnahmen, trans*-affirmative Therapieansätze, Aufklärung in der Ausbildung im Gesundheitswesen, Ausbau niedrigschwelliger Beratung für Trans* und Angehörige sowie Ausbau von Forschung und Datensammlung zu Trans*-Gesundheit.
Güldenring und Sauer umreißen in ihrem Beitrag den aktuellen Stand zur Teilhabe und Diskriminierung von Trans*-Menschen in Deutschland. Sie unternehmen eine Klärung der Begriffe rund um Trans* und Geschlechternormen sowie die Darstellung der derzeitigen Situation von Trans*-Menschen im Recht, im Gesundheitswesen und in der Gesamtgesellschaft. Diskriminierungen und Hemmnisse in der sozialen Teilhabe werden ebenso aufgezeigt wie Möglichkeiten für Verbesserungen.
In diesem Beitrag skizziert die Autorin zunächst den sexualwissenschaftlichen Diskurs und Umgang mit Transgeschlechtlichkeit seit dem 19. Jahrhundert bis heute unter Berücksichtigung der diagnostischen Kriterien der Klassifikationssysteme ICD 10 sowie DSM 5. Sie problematisiert, dass diese diagnostischen Instrumente (hetero)normativ geregelt sind und Psychiater_innen/Psycholog_innen keinen Raum lassen abseits diagnostischer Kriterien individuelle Nuancen und Erfahrungen des subjektiven Geschlechtserlebens von trans* Personen wahrzunehmen sowie anzuerkennen. Sie schließt mit dem Plädoyer, den Expert_innenstatus von Psychiater_innen/Psycholog_innen aufzuheben und die Selbstbestimmung sowie Partizipation von trans* Personen in der therapeutischen Beziehung zu stärken.
Die Autorin A. Güldenring problematisiert die Rolle der Psychodiagnostik bezüglich der Geschlechtsidentität von trans* Personen innerhalb der Verfahren zur rechtlichen Vornamens- bzw. Personenstandsänderung nach dem Transsexuellengesetz (TSG) (Stand 2013). Die Bestimmungen des TSGs im Hinblick auf die Begutachtungspraxis sowie eine Rollenkonfusion zwischen Medizin/Psychologie und dem Rechtssystem werden kritisch beschrieben. Nach Güldenring findet eine Psychiatrisierung und Stigmatisierung von Transgeschlechtlichkeit durch die Begutachtungspraxis statt, die die Selbstbestimmung von trans* Personen verletze. Die Autorin schließt mit der Aufforderung zu einer Reformierung des TSGs, die auf eine psychiatrische Begutachtung von trans* Personen durch Medizin/Psychologie verzichten sollte.